Was für ein Kulturschock! Nach drei Wochen in Japan, wo alles perfekt organisiert war, die Menschen rücksichtsvoll und freundlich, die Hotelzimmer jedoch recht klein, war der Übergang nach Vietnam ein Sprung ins Ungewisse. Das Hotel in Hanoi, das ich im Voraus gebucht hatte, fragte innerhalb weniger Wochen viermal nach unserer Ankunftszeit und Flugnummer – doch als wir ankamen, war kein Abholservice in Sicht. Und das, obwohl wir nach der Landung noch am Geldautomaten vietnamesisches Geld abgehoben und uns eine lokale SIM-Karte besorgt hatten. Glücklicherweise bot uns ein freundlicher Taxifahrer, dessen Fahrgäste wohl nicht aufgetaucht waren, an, uns zum gleichen Preis wie das Hotel zu fahren. Doch dann tauchte doch noch unser „Hoteltaxi“ auf, und der Taxifahrer hatte Pech.
Der Verkehr in Hanoi ist eine wahre Herausforderung: Chaos, ständiges Hupen und endlose Mopeds, die keine Verkehrsregeln zu kennen scheinen. Sie ignorieren rote Ampeln und fahren sogar gegen die Einbahnstraßen. Ein hilfreicher Tipp, den wir bekamen: Man sollte ruhig, aber selbstbewusst die Straße überqueren, damit die Mopeds um einen herummanövrieren können. Stehenbleiben oder rennen würde unweigerlich zu Unfällen führen. Hanoi hat etwa 8 Millionen Einwohner und 5 Millionen Mopeds. Viele parken quer auf den Bürgersteigen,

der Rest der freien Bürgersteige wird von Restauranttischen belegt, sodaß die Fußgänger die Straße nehmen müssen.
Im Hotel angekommen, wurden wir von einer Dame empfangen, die ein Reisebüro vertrat. Sie überzeugte uns, dass aufgrund der Hochsaison alle weiteren Hotels, Zugfahrten und Ausflüge besser vorab gebucht werden sollten. Wir ließen uns darauf ein. Vietnam ist im Gegensatz zu Orten wie der Osterinsel, Hawaii oder Japan unglaublich günstig. Auf dem Nachtmarkt in Hanoi habe ich zum Beispiel eine Sporthose mit Nike-Logo für weniger als 2,5 Euro erstanden. Toi toi toi – abgesehen von Verspätungen haben alle Reisen und Ausflüge bisher gut funktioniert.

Ninh Binh
Eine Tagestour mit dem Bus führte uns nach Ninh Binh. Dort wurden wir gefragt, ob wir eine kurze Radtour von etwa 20 Minuten unternehmen möchten. Eine indische Touristin stellte überraschenderweise die Frage: „What is a bicycle?“ – „Was ist ein Fahrrad?“ Sie war Teil einer größeren indischen Familie, die auch einen kleinen Jungen (etwa 6 Jahre alt) sowie die Eltern und eine Tante umfasste. Letztere hatte offensichtlich keinerlei Erfahrung mit Fahrrädern, wollte aber trotzdem mitfahren und kam Martina mehrfach gefährlich nahe. Auch der kleine Junge war mehr ein Hindernis als ein sicherer Radfahrer.
Die Radtour führte uns zu einer alten Tempelanlage, die wohl vom ersten König Vietnams vor mehr als 1000 Jahren erbaut wurde. Die vielen Namen kann ich mir ehrlich gesagt inzwischen nicht mehr merken – Informationsüberflutung! Im Tempel gab es zahlreiche Opfergaben, darunter sogar Paletten von Dosenbier- wer die wohl konsumiert? Anschließend machten wir eine einstündige Bootstour auf einem gemächlich dahinfließenden Fluss. Die einheimischen Bootsführer ruderten dabei auf ungewöhnliche Weise mit ihren Füßen. Es gab zwei Techniken zu beobachten: entweder das gleichzeitige Rudern auf beiden Seiten oder das abwechselnde Rudern links und rechts.
Zum Abschluss ging es zu einem Lotusgarten, wo wir einen Berg mit 500 Stufen erklimmen konnten. Oben erwartete uns eine große Drachenstatue. Dank unserer Wanderschuhe konnten wir die unregelmäßigen Stufen gut bewältigen. Erstaunlich war jedoch der Anblick anderer Touristen, die in Badeschlappen den steilen Aufstieg wagten – eine riskante Angelegenheit.

Walking Tour in Hanoi
Stadtführungen zu Fuß finden wir besonders spannend, da man auf diese Weise die Stadt intensiv erlebt und viel über die Kultur und das tägliche Leben der Menschen erfährt. Unsere Führerin war eine Studentin, die die Tour kostenlos anbot, um ihre Englischkenntnisse zu verbessern. Natürlich haben wir ihr am Ende ein großzügiges Trinkgeld gegeben. Unser Weg führte uns unter anderem zum Literaturtempel, einer großen konfuzianischen Anlage, die von einem der frühen vietnamesischen Könige erbaut wurde, um begabten Kindern eine gute Ausbildung zu ermöglichen. Der Literaturtempel gilt als die älteste Universität Vietnams.
Ein weiterer Stopp war das Hoa Lo-Gefängnis, das während der französischen Kolonialzeit zur Inhaftierung von Aufständischen genutzt wurde. Später wurde es von der kommunistischen Regierung übernommen, um politische Gegner einzusperren, und während des Vietnamkriegs diente es als Gefängnis für amerikanische Kriegsgefangene. Es wurde damals zynisch als „Hanoi Hilton“ bezeichnet. Die Ausstellungen zeigten die beengten und brutalen Lebensbedingungen der Gefangenen. Besonders berührend war die Geschichte einer Gruppe von vietnamesischen Häftlingen, die an Weihnachten durch den Abwasserkanal fliehen konnten.

Eine Ausstellung betonte, wie gut die Vietnamesen ihre amerikanischen Kriegsgefangenen behandelt hätten – ein klares Beispiel für Propaganda. Dennoch regt es nachdenklich an, insbesondere nach unserem Besuch im Atombombenmuseum in Hiroshima, Japan. Es zeigt die Grausamkeit von Kriegen und die Doppelmoral, mit der sie oft geführt werden.
Kochkurs in Hanoi
Schon nach den ersten Restaurantbesuchen gefiel uns die vietnamesische Küche so gut, dass wir beschlossen, an einem Kochkurs teilzunehmen. Zuerst besuchten wir einen lokalen Markt, um die Zutaten einzukaufen, bevor wir ans Schneiden und schließlich ans Kochen gingen. Der Chefkoch übernahm das Grillen. Auf dem Menü stand Bun Cha, ein traditionelles vietnamesisches Gericht aus Rinderbrühe, Reisnudeln, Gemüse, gegrilltem Schweinebauch und gegrillten Hühnerfrikadellen. Außerdem kochten wir Pho, eine Rinderbrühe, und Hähnchen mit Zitronengras und Chili.
Eine neuseeländische Familie nahm ebenfalls am Kurs teil, und wir hatten viel Spaß dabei.

Weniger ansprechend war das Angebot von Eierkaffee und Eierbier. „Eier“ bedeutete hier eine Art flüssiger Pudding, der mit viel Zucker auf den Kaffee oder das Bier gegossen wurde. Die Kaffeeversion war noch einigermaßen erträglich, aber beim Eierbier habe ich dankend abgelehnt. Der neuseeländische Vater hat wohl einen Schluck probiert und den Rest ebenfalls stehen lassen.

Das Räucherstäbchen-Dorf
Eine weitere Tagestour führte uns zu einer Manufaktur für Räucherstäbchen, die in großen Mengen in den Tempeln verbrannt werden. Bambusstöcke wurden in etwa 2 mm breite Streifen geschnitten und auf eine Länge von etwa 50 cm zugesägt. Ein Ende wurde in rote Farbe getaucht, das andere Ende mit einer Gewürzmischung, hauptsächlich Zimt, bestäubt und gepresst. Vor der Manufaktur hatten sie die Räucherstäbchen zu Mustern ausgelegt, die ein schönes Fotomotiv boten.

Danach besuchten wir eine Frau, die uns in ihrem Haus zeigte, wie die traditionellen vietnamesischen Hüte aus getrockneten Palmblättern hergestellt werden.

Es war ein faszinierender Prozess: Die Blätter wurden zuerst gekräuselt und getrocknet, dann wieder glattgebügelt und in ein konisches Gitter aus Bambus eingeflochten. Jeder Teilnehmer durfte einen solchen Hut mitnehmen und bemalen. Zunächst wollte ich keinen annehmen, da ich weder Platz im Gepäck hatte noch besonders künstlerisch begabt bin. Doch die anderen Teilnehmer drängten mich, den Hut als Gastgeschenk anzunehmen, da es als Beleidigung der Gastgeberin angesehen werden könnte, ihn abzulehnen. So blieb der unbemalte Hut letztlich im Hotelzimmer zurück.
Kunsthandwerk mit Eierschalen
Als nächstes besuchten wir eine Künstlerin, die beeindruckende Kunstwerke aus Eierschalen herstellt. Auch wir durften uns eine Stunde lang künstlerisch betätigen, doch ich gab schnell auf.

Besonders, weil ich als Chemiker wusste, dass der rote Klebstoff, der verwendet wurde, Quecksilber enthielt. Die Reiseleiterin versuchte, mich zu überzeugen, dass der Klebstoff unschädlich sei, doch das war er keineswegs. Zwar mag der Farbstoff natürlichen Ursprungs sein – er nennt sich Zinnober –, aber er besteht aus Quecksilbersulfid, das bei häufiger Exposition im Körper angereichert wird und zu Vergiftungssymptomen führt. Die Reiseleiterin entgegnete nur, dass der Vater der Künstlerin 90 Jahre alt geworden sei, was mich an einen meiner Onkel erinnerte, der ebenfalls starker Raucher ist und fast 90 geworden ist.
Kreuzfahrt in der Halong-Bucht
Unsere zweitägige Kreuzfahrt in der malerischen Halong-Bucht war der krönende Abschluss. Die Fahrt zum Hafen dauerte etwa zwei Stunden, wobei wir unterwegs, wie bei einer klassischen Kaffeefahrt, an einer Perlenzuchtstation Halt machten. Dort wurde gezeigt wie die Perlmuscheln präpariert wurden, aber es wurden auch auch Schmuckstücke in Gold und Silber zum Verkauf angeboten. Martina gefiel eine Halskette aus Weißgold, aber der Preis von 2000 Dollar war uns dann doch zu hoch, vor allem angesichts der Tatsache, dass die Kreuzfahrt selbst nur 135 Dollar pro Person kostete.


Unsere Kabine auf dem Boot war größer als so manches Hotelzimmer in Japan. Im Preis inbegriffen waren neben den Mahlzeiten auch eine Ruderboot-Tour, ein Kajakausflug und die Möglichkeit zu schwimmen. Einige indische Familien waren ebenfalls an Bord, und es stellte sich heraus, dass niemand von ihnen schwimmen konnte – sie gingen nur mit Rettungsringen oder Schwimmwesten ins lauwarme Wasser.

Mittlerweile sind wir weiter in den Süden gereist, und bald gibt es neue Berichte.